Unterm Strich komm ich?
Egoistisch, selbstgefällig und vor allem hoffnungslos beziehungsunfähig – das wird der Generation Y, also vor allem jüngeren Leuten, nachgesagt. Das ist – zugegeben – wenig schmeichelhaft. Doch ist die innerliche Einsamkeit, die an vielen Menschen nagt, wirklich ein neuzeitliches Phänomen? Was ist dran, an der Geschichte der „Generation Me“?
Auf der Suche nach Ursachen sollten die digitalen und sozialen Neuerungen unserer Zeit natürlich nicht außer Acht gelassen werden. Früher musste man die Liebe noch dem Zufall überlassen und heute nehmen wir sie oft selbst in die Hand – oder besser gesagt das Smartphone. Zahlreiche Dating-Apps suggerieren, dass nach dem nächsten „Swipe“ ein noch besserer, passendere/r Partner*in warten könnte. Auch mit uns selbst gehen wir hart ins Gericht. Der Optimierungsdrang ist groß. Schließlich ist jeder Tag eine neue Chance, der Welt ein noch besseres, strahlendes Ich zu präsentieren.
Klingt ganz schön stressig. Wenn wir nur damit beschäftigt sind, uns selbst und andere zu optimieren, haben echte Verbindungen natürlich wenig Platz. Soweit das Klischee.
Technologische Innovationen haben die Art, wie wir uns miteinander verbinden zum Teil sehr verändert. Fest steht auch, dass jüngere Generationen der Selbstbestimmtheit einen viel größeren Wert beimessen als Vorherige. Beziehungsunfähig ist eine ganze Generation deshalb aber trotzdem nicht. Denn das Bedürfnis nach Bindung ist angeboren. Werte, wie die Verbundenheit zur Familie, lange Freundschaften und ein feste/r Partner*in stehen laut diversen Umfragen auch bei jungen Menschen ganz weit oben auf der Prioritätenliste. Doch woran liegt es dann, dass sich immer mehr Menschen trotz Partner und Freunden einsam fühlen?
Nicht Alleinsein macht einsam, sondern das Gefühl, allein zu sein
Fakt ist ja, dass viele Menschen durchaus einen großen Freundeskreis, und / oder eine/n Partner*in haben. Das Gefühl, trotz dessen allein zu sein, können sich viele nicht erklären. Ein Gefühl der Einsamkeit entsteht immer dann, wenn unser Grundbedürfnis nach Verbundenheit mit anderen Menschen nicht erfüllt wird. Wir können also viele Freunde haben, uns aber trotzdem allein fühlen. Was hindert uns daran, uns gänzlich aufeinander einzulassen?
Psychologischen Studien zufolge ist Einsamkeit nichts, was sich an der bloßen Anzahl an Kontakten messen lässt. Vielmehr ist Einsamkeit ein subjektives Gefühl. Es ist das Empfinden von einem Mangel an Verbindungen zu anderen Menschen, sich niemandem anvertrauen zu können und keinen zu haben, den man um Unterstützung bitten könnte. Das Gefühl kann einen dabei allein zu Hause überkommen, beim Zusammensein mit der/dem Partner*in oder inmitten der Familie. In der folgenden ARD-Umfrage bewerteten 68 % der befragten Einsamkeit als großes bzw. sehr großes Problem.
Psycholog*innen sehen die Ursachen, dass unsere Beziehungen oft nur an der Oberfläche kratzen, überraschenderweise weder bei den sozialen Medien, noch als Generationenproblem. Einsamkeit, so die Forscher*innen, kann uns nur dann nichts anhaben, wenn wir uns öffnen und anderen vertrauen. Denjenigen, denen dies Probleme bereitet, haben oft mit Ängsten zu kämpfen. Ängste, die in unseren früheren Erfahrungen wurzeln und bestimmen, wie wir uns später mit anderen verbinden.
Wer sich sicher gebunden fühlt, betrachtet Beziehungen als Räume der Sicherheit, als Rückzugsort, an dem man sich zeigen kann, wie man ist und aus denen man Kraft schöpfen kann. Weniger ideal verhält es sich bei Menschen mit unsicherem Bindungsstil – auch bekannt unter dem ängstlichen bzw. vermeidenden Bindungstypen. Sie schalten ihr Bedürfnis nach Bindungen ab oder befinden sich konstant in einer Achterbahn der Gefühle, die sie oft selbst nicht verstehen. Oft wird eine Bindung abgebrochen, bevor echte emotionale Nähe entsteht. Laut Forscher*innen haben 30-40 % der Menschen einen solch unsicheren Bindungsstil – generationenübergreifend.
Die Art und Weise, wie wir uns in Beziehungen verhalten ist jedoch nicht in Stein gemeißelt - unser Bindungsstil kann sich ändern. Der erste Schritt zur Besserung geht meist über die Erkenntnis.
Ja, nein, jein? – wie man Bindungsangst erkennt
Bindungsängstliche Menschen spüren genauso wie alle anderen eine starke Sehnsucht nach Liebe und Zuneigung. Doch die Liebesgefühle zu Bekanntschaften und Partner*innen schwanken bei ihnen sehr. Oft wird gerade dann die größte Leidenschaft empfunden, wenn die Beziehung eher unsicher ist. Ist die Bindung hingegen auf einem sehr intimen Level angelangt, erleben viele Bindungsängstliche den plötzlichen Gefühlstod oder ziehen sich zurück. Unstetigkeit und nagende Zweifel, ob die Beziehung beendet oder fortgeführt werden soll, sind charakteristische Symptome der Bindungsangst und spiegeln die große innere Zerrissenheit wider.
Aber nicht nur in der Partnerschaft spiegelt sich die Angst vor zu engen Beziehungen. Auch in anderen sozialen Kontexten vermeiden wir es, uns verletzlich zu zeigen. Oftmals zeigt sich dies jedoch erst in einer Krise. Wer einen riesigen Bekanntenkreis, aber niemandem zum Reden hat, macht oft eine schmerzhafte Erfahrung: Nämlich die, dass – wenn es wirklich darauf ankommt – auf einmal niemand mehr da ist, der einem beisteht.
Wenn wir lernen wollen, wie wir die alten Muster durchbrechen können, müssen wir neue Strategien entwickeln. Gut, dass es zahlreiche Anwendungsmethoden gibt, die uns helfen können, Bindungsängste abzubauen und so erfülltere und wahrhaftigere Beziehungen zu leben.
Öffne dich wieder für enge Beziehungen
Die folgenden Tipps können dabei helfen, sich wieder zu öffnen und Beziehungen mit Freund*innen, Partner*innen und Familie aus vollem Herzen zu leben:
- Reflektiere – Nimm dir Zeit und setze dich mit deinen Ängsten auseinander. Hier kann zum Beispiel das Schreiben einer Liste sehr gut helfen. Wovor genau hast du Angst? Ein Beispiel könnte sein: „Ich habe Angst vor Enttäuschung“. Überlege dir auch, wie deine Erfahrungen in der Vergangenheit zu deinem jetzigen Verhalten beigetragen haben. Tu dies in Ruhe und hetze dich nicht.
- Lerne, die Angst anzunehmen – Versuche, deine Ängste objektiv zu betrachten. Drück sie nicht weg. Dabei können dir Meditation und Achtsamkeitsübungen sehr gut helfen. Versuche, in der nächsten Situation möglichen Konflikten nicht aus dem Weg zu gehen, sondern suche in aller Ruhe nach einer Lösung. Gehe dabei immer liebevoll und geduldig mit dir um.
- Öffne dich deinen Mitmenschen gegenüber – Wenn du die ersten zwei Schritte umgesetzt hast, wirst du schon einiges an Klarheit erlangt haben. Nun kannst du damit anfangen, deine Mauern um dich herum langsam abzubauen. Öffne dich deinen Mitmenschen gegenüber, zeig deine Emotionen, du darfst verletzlich sein. Du wirst schnell merken, wie gut das tut.